Ein Fuchs mitten im Bahnhof: auch, wenn es uns nicht immer unmittelbar bewusst ist, bieten unsere Städte Tieren und Pflanzen Lebensraum. Auch an Orten, an denen wir es nicht vermuten.
Der Zusammenhang von unserem Handeln, der Degradierung unserer Ökosysteme und dem akuten Verlust von Artenvielfalt ist offensichtlich. Doch welche Rolle spielen Städte in diesem globalen Zusammenhang? Welche Wirkungen gehen von ihnen aus, wem bieten sie Lebensraum – und welche Möglichkeiten haben wir, von den Städten aus zu agieren und positive Entwicklungen zu ermöglichen? Fragen, die sich auch lala.ruhr immer wieder stellt, zuletzt im Kontext einer Werkstatt während des Festivals der Landschaft der Metropole Ruhr.
Die Begrifflichkeiten
Urbane Biodiversität bezieht sich als Begriff auf die biologische Vielfalt der Städte selbst. Unter regionalem Biodiversitätseinfluss versteht man den Einfluss menschlichen Lebens in der Stadt auf das Umland. Mit globalem Biodiversitätseinfluss bezeichnet man unseren Einfluss auf die weit entfernten Länder und ihre Ökosysteme – der von unserem globalen Konsumverhalten gezeichnet wird.
Biodiversität in der Planung
Generell lässt sich festhalten, dass „Natur in der Stadt“ in der Forschung ein noch recht junges Phänomen ist, dass erst seit den 1970ern mit dem Aufkommen der Disziplin Stadtökologie wissenschaftlich erforscht wird. Während Natur- und Artenschutz eine lange Tradition haben, kam Tier und Pflanze in der Stadt nur wenig Aufmerksamkeit zu. Ein gewichtiger Grund hierfür wird in der lange vorherrschenden Trennung zwischen dem Raum des Menschen und der Natur gesehen, die sich in Begriffen wie Naturlandschaft und Kulturlandschaft widerspiegelt. Inzwischen verknüpfen planerische Konzepte Räume und Funktionen – Parkflächen werden zb nicht mehr nur als Ort der Erholung definiert, sondern auch mit Blick auf die auf ihnen zu findenden Tier- und Pflanzenarten – auch für lala.ruhr beginnt Natur bereits auf der Fensterbank.
Biodiversität in der Metropole Ruhr
Bereits seit 2012 existiert in der Metropole Ruhr das Netzwerk Urbane Biodiversität, das wichtige Partner:innen verbindet, die zum Thema Biodiversität arbeiten und eine Strategie für die Metropole Ruhr vorantreiben. Erst vor wenigen Wochen sind dazu Positionspapiere veröffentlicht worden, in denen neun Themen im Fokus stehen: Arten- und Biotopschutz, Industrienatur, Urbane Landwirtschaft, Urbane Waldnutzung, Freiflächen- und Biotopverbund, Klimawandel und Klimaanpassung, Stadtgrün und soziale Verantwortung, Urbanes Grün und Gesundheitsvorsorge sowie Umweltbildung und Umweltbildungszentren.
Konkret vor Ort werden durch das Netzwerk Urbane Biodiversität zum Beispiel die Arten im Landschaftspark Duisburg beobachtet – eine außerordentliche Vielfalt mit über 700 Pflanzenarten und Tieren. Exemplarisch hierfür stehen hier alleine 35 unterschiedliche Libellenarten auf dem Gelände des ehemaligen Industriestandortes.
Auch im Handlungsprogramm der Emschergenossenschaft zur Entwicklung einer klimaresilienten Region durch blau-grüne Infrastrukturen spielt Biodiversität eine wichtige Rolle. Die nötigen Lösungen zur Klimaanpassung eröffnen auch einen Handlungsspielraum. So ist beispielsweise die Art der Ausführung eines Gründaches dafür verantwortlich, ob auch Insekten und Vögel dort einen ergänzenden Lebensraum finden.
Zudem engagiert sich der NABU NRW in vielen Projekten. Thorsten Wiegers betonte im Rahmen der Festivalwerkstatt, dass Biodiversität ein Indikator für lebenswerte Städte sein kann – und zwar nicht nur auf der sachlich notwendigen Ebene, sondern auch emotional mit Begeisterung. Laut einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz stimmten 89 % der Menschen in Deutschland der Aussage zu, dass „die biologische Vielfalt in der Natur ihr Wohlbefinden und die Lebensqualität fördert.” Wichtig sei, dass gerade in der Stadt die Menschen mit der Natur und der Biodiversität in Verbindung treten und diese als selbstverständlichen Teil Ihres Lebensraumes wahrnehmen.
Ein weiteres spannendes Projekt zum Thema Urbane Biodiversität findet sich in Dortmund: Naturfelder Dortmund e.V., eingebettet in das EU-Forschungsprojekt „productive Green Infrastructure for post-industrial urban regeneration“ (proGIreg), bei dem die grüne Infrastruktur in ehemals industriell geprägten Bereichen gestärkt werden soll. Der Verein will dazu in Dortmund mit der Kommune und den Bürgern Flächen als Blühwiesen mit hoher Biodiversität aufwerten. Die ersten Flächen wurden bereits im Frühjahr 2021 eingesät.
Dekade der Wiederherstellung unserer Ökosysteme
Der Verlust der Biodiversität ist mit dem Klimawandel eine der großen benannten Krisen unserer Zeit. Die UN hat vor diesem Hintergrund die Dekade der Wiederherstellung der Ökosysteme ausgerufen. Unsere Städte spielen dabei eine große Rolle, denn sie entwickeln sich mehr und mehr von der Idee des mittelalterlichen Bollwerkes hin zu einem echten Lebensraum für Ihre Bewohner:innen. Auch Tiere sehen hier Ihre Chance und wandern in die Städte. Spannend im globalen Kontext: Die Arbeit des ICLEI – Local Governments for Sustainability. Auf der Website der Organisation findet sich ein Überblick der Aktivitäten zur Biodiversität im europäischen Raum. Über die Plattform findet noch dazu ein reger internationaler Austausch statt.
Fazit der Werkstatt
Die Metropole Ruhr kann aus ihrer Transformation heraus auch weitere Qualitäten entwickelt, die sich bereits heute in vielen Orten manifestieren, die ehemals durch die Schwerindustrie geprägt waren. Dies wird aber nicht die Lösung für eine globale Krise sein. Es besteht weiterhin ein großer Handlungsbedarf, die urbane Biodiversität auch als eine Grundlage für eine lebenswerte und klimaangepasste Stadt zu nutzen, und dabei auf die globale Situation positiv einzuwirken – direkt durch die Projekte, indirekt durch das entstehende Bewusstsein. Dabei bietet die fragmentierte Struktur der Metropole Ruhr und die aktuellen Aktivitäten zur Klimaanpassung einen potenten Handlungsrahmen, der auf der erfolgreichen bisherigen Transformation aufbauen kann: Die Metropole Ruhr als funktionierendes Ökosystem zu verstehen und auch als solche zu gestalten.
Text: Sebastian Schlecht
Foto: Bille Helbig