Bild von der spontanen Stadtnatur an der Ruhr-Universität Bochum © S.Stiehm
Biodiversität ist eines der zentralen Themen unserer Zeit und auch im urbanen Kontext ein wichtiges Thema bei der Arbeit von von lala.ruhr. Der Beitrag von Stadtnatur zu einer lebenswerten Umgebung fördert nicht nur die Lebensqualität der menschlichen Bewohner:innen unserer Städte. Durch eine hohe Artenvielfalt können unsere Städte als grüne Infrastrukturen den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht werden. Aus diesem Grund hat Stephanie Stiehm, Praktikantin bei lala.ruhr und Masterstudentin im Studiengang Geographie mit der Vertiefungsrichtung Stadt- und Landschaftsökologie, für unseren Blog in diesem Beitrag aufgeschlüsselt, welche Rolle Biodiversität in unseren Städten spielt.
Die weltweite Bevölkerung wächst – immer mehr Menschen leben dabei im urbanen Raum und steigern so den Grad der Urbanisierung. Im Jahr 2050 sollen über 68 % der Menschen in Städten wohnen. Auch das Artensterben und der damit verbundene Biodiversitätsverlust ist eine der großen Krisen unserer Zeit. In den letzten 50 Jahren sind ca. 50 % der gesamten Arten ausgestorben. Welche Rolle spielen Städte dabei? Unsere Städte sind auch Teil eines vernetzten Ökosystems und bieten damit auch den Menschen ein gutes Lebensumfeld.
Der Begriff Biodiversität wird dabei generell in drei Betrachtungsebenen eingeteilt: Genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Lebensraumvielfalt. Sie unterliegen einer steten zeitlichen und räumlichen Dynamik: Die “urbane Biodiversität” umfasst dabei nicht nur die Naturprozesse, sondern schließt auch die bewussten anthropogenen (menschlichen) Handlungen mit ein. Folglich wird die Biodiversität in urbanen Räumen nicht vorgefunden, sondern auch von den Bürger:innen mitgestaltet [1]. Darüber hinaus bezeichnet der regionale Biodiversitätseinfluss den Einfluss menschlichen Lebens in der Stadt auf das Umland. Auf der globalen Maßstabsebene werden dann die regionalen Einflüsse auf entfernte Länder und ihre Ökosysteme übertragen.
Wo genau aber existiert Biodiversität in der Stadt? Die urbane Wildnis umfasst Pflasterritzenvegetation, Flächen mit freier Sukzession oder ganz unberührte Flächen [2]. Die Biodiversität ist in Städten auf Grund ihrer zahlreichen unterschiedlichen Lebensräume im Vergleich zu ländlich geprägten Gebieten sogar höher. Dazu zählen urbane Wälder, städtische Parkanlagen, offene Grünräume, Wasserläufer und viele weitere Kleinstbiotope.
Das hohe Artenaufkommen in urbanen Gebieten wird durch die vielen Bereiche in der Stadt erklärt, die der natürlichen Sukzession überlassen werden können sowie unterschiedliche Sukzessionsstadien nebeneinander existieren. Beispiele hierfür sind Bahngleise, Dächer, Häuser, Industriegelände, Straßenränder und Brachflächen. Die Anzahl an Therophyten (einjährige Pflanzen) nimmt mit dem Verstädterungsgrad zu. Ursachen hierfür ist der oben erläuterte Strukturreichtum des Lebensraumes Stadt sowie das Angebot an unterschiedlichen Nahrungs- und Habitatangeboten. Außerdem können Tiere unter reduzierender Konkurrenz zu anderen Artgenossen leben. Ein häufiges Merkmal von Städten ist das erhöhte Vorkommen von Neobiota. Der Begriff Neobiota bezeichnet alle Arten, die in einem Gebiet leben (in diesem Fall der urbane Raum), indem sie nicht heimisch sind [1].
Zunächst ist der Unterschied zwischen Seltenheit und Gefährdung festzuhalten. Der Begriff Seltenheit umfasst das tatsächliche Artenaufkommen ohne das Zutun des Menschens. Sollten dabei auch Organismen wenig auftreten, werden sie als selten klassifiziert. Die Gefährdung ist mit einer negativen Bestandsentwicklung zu beschreiben. Ursache dafür ist häufig der Mensch, weshalb auch von anthropogener Seltenheit gesprochen wird. Die “Rote Liste” dient dabei als Verzeichnis oder Übersichtstabelle über den Gefährdungszustand von Tieren und Pflanzen und wird als Datenquelle benutzt.
In Nordrhein-Westfalen existieren 43.000 Pilze, Pflanzen und Tiere [3]. Viele dieser Lebewesen sind gefährdet und sind bei Planungen als planungsrelevante Arten gekennzeichnet. Auf diese Arten muss bei Bauvorhaben besonders geachtet werden und wenn ihre Lebensräume zerstört werden, müssen Ersatz- und Ausgleichsflächen geschaffen werden.
Die Biodiversität wird anhand von Biotopkartierungen (besonders für Pflanzen) und Zählungen von Artengruppen oder einzelnen Individuen gemessen. Dabei werden Werte zur Bestandsdichte ermittelt. Am Ende werden häufig Artenleitbilder für die Städte entwickelt, wodurch gezielt die Biodiversität erhöht werden kann.
Blick aufs Ruhrgebiet
In der Metropole Ruhr existiert seit 2012 das Netzwerk Urbane Biodiversität. Es besteht aus zahlreichen Forscher:innen und Institutionen des Ruhrgebiets, die sich mit dem Thema Biodiversität befassen und eine Strategie für die Metropole Ruhr entwickeln. Ziel ist die Entwicklung von Maßnahmen, die die regionale Biodiversität erhalten und fördern. Seit Mitte 2020 wird die “Regionale Biodiversitätsstrategie Ruhrgebiet” von der Landesregierung gefördert. Sie ist ein Teilprojekt zur “Offensiven Grüne Infrastruktur 2030”, welches vom Regionalverband Ruhr (RVR) durchgeführt wird.
Im März diesen Jahres sind Positionspapiere entstanden, die neun Schwerpunktthemen in den Fokus genommen haben: Arten- und Biotopschutz, Industrienatur, Urbane Landwirtschaft, Urbane Waldnutzung, Freiflächen und Biotopverbund, Klimawandel und Klimaanpassung, Stadtgrün und sozialer Zusammenhalt, Urbanes Grün und Gesundheitsvorsorge und Umweltbildung. Sie bilden einen Leitfaden und dienen als Diskussionsgrundlage für die zukünftige regionale Biodiversitätsstrategie.
Es ist allgemein anerkannt, dass Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen wichtig für unseren Natur- und Wasserhaushalt sind. Sie erbringen zahlreiche Ökosystemdienstleistungen, wie die Kühlung der Umgebungstemperatur, dienen als natürliche Retentionsflächen und können Schadstoffe filtern oder abbauen und zum Beispiel Sauerstoff produzieren und Kohlenstoff speichern. Neben diesen Versorgungs- und Regulierungsleistungen gibt es noch die kulturellen Leistungen. Biodiversität bringt auch viel Ästhetik, Spiritualität, Bildung und Erholung mit sich [1]. Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner:innen steigt durch eine biodiverse Stadtnatur an.
Jetzt liegt es auch ein bisschen an Ihnen, die Biodiversität in Städten neu zu entdecken und vielleicht auch einen kleinen Teil vor ihrer Haustür dazu beizutragen, unsere Städte grün und lebenswert zu gestalten.
Autorin: Stephanie Stiehm
Textquellen:
[1] Breuste, J. (2019) Die Grüne Stadt. Stadtnatur als Ideal, Leistungsträger und Konzept für Stadtgestaltung. Berlin. 375 S.
[2] Keil, P.; Hering, D.; Schmitt, T. & Zepp, H. (Hrsg.) (2021) Positionen zu einer Regionalen Biodiversitätsstrategie Ruhrgebiet – Studie im Rahmen der Offensive Grüne Infrastruktur 2030. Oberhausen, Essen und Bochum. 228 S.
[3] NABU (o.J.) Tiere und Pflanzen Nordrhein-Westfalens. Artenvielfalt erhalten und schützen: https://nrw.nabu.de/tiere-und-pflanzen/index.html