Die “Artenschutzsschmiede” am Schachtstandort Ewald 5 in Herten – eines der Projekte von HeimatERBE. © HeimatERBE
Urlaubsreisen, exotische Nahrungsmittel und der Kauf von Dingen, die kurz danach in der Zimmerecke verstauben, gehören zu unserem alltäglichen Konsumverhalten. Das wirkt sich negativ auf unsere Umwelt aus: wichtige Ressourcen werden verbraucht, Lebensräume degradiert oder zerstört und das Artensterben nimmt zu. Wie kann also der so verursachte Schaden vermieden und kompensiert werden, um langfristig eine ökologische, umweltgerechte Lebensweise zu erreichen?
lala.ruhr kooperiert mit der Impact Factory, einer Start-up-Plattform für soziales Unternehmertum, und hat sich hierzu mit dem Essener Unternehmen HeimatERBE GmbH ausgetauscht.
Die HeimatERBE GmbH wurde gemeinsam mit dem Schwesterunternehmen greenzero.me 2020 von Dr. Dirk Gratzel gegründet, nachdem dieser es sich selbst zur Aufgabe gemacht hatte all die Umweltschäden, die er in seinem Leben verursacht hat, zu erfassen und auszugleichen. Dazu war er mit zahlreichen Wissenschaftler:innen im Austausch und hat schlussendlich als erster Mensch zusammen mit der TU Berlin und der TU Braunschweig seine vollständige Lebensökobilanz und die sich daraus ergebenden Schäden für die Umwelt ermittelt – das entspricht dem heutigen Tun der greenzero.me. Anschließend hat er mit weiteren Expert:innen u.a. aus den Themenfeldern Forstwissenschaften, Ökologie, Biologie und Naturschutz eine Strategie zur Kompensation der Umweltschäden entwickelt – damit beschäftigt sich nun die HeimatERBE GmbH. Mit Hilfe der beiden Schwesterunternehmen erhalten nun Wirtschaftsunternehmen im B2B-Modell die Möglichkeit, ihre Organisation, ihre Dienstleistung oder ihre Produkte umweltneutral zu stellen.
Mittlerweile umfasst HeimatERBE sieben Mitarbeiter:innen in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Technik. Die Stadt- und Landschaftsökologin Madlen Sprenger (M.Sc.) war bei lala.ruhr zu Gast und hat von der Idee des Unternehmensgrundsatzes von HeimatERBE berichtet. Im Interview mit unserer Praktikantin Stephanie Stiehm wurden die Kompensation von Umweltschäden und das HeimatERBE-Prinzip thematisiert:
Was macht ihr genau bei HeimatERBE? Was ist eure Mission?
Das Ziel von HeimatERBE ist es, negative Umweltauswirkungen zu kompensieren. Hierzu bringen wir aktuell alte Industrieflächen aus dem Ruhrgebiet wieder in einen möglichst guten, ökologischen Zustand, in dem sie dann (Sekundär-)Lebensraum für vielfältige Pflanzen- und Tierarten bieten. Natürliche wie kulturlandschaftliche Biotope sorgen so für den Aufbau neuer sowie die Erhaltung und Verbesserung vorhandener Ökosystemleistungen*. Die Schaffung von neuer Biodiversität sowie der Schutz von Klima und Mensch stehen dabei für HeimatERBE an erster Stelle. HeimatERBE schafft dadurch einen Mehrwert für die Natur und für die Gesellschaft. Diesen Mehrwert bieten sie Unternehmen zur Kompensation ihrer negativen Umweltauswirkungen aus beispielsweise Dienstleistungen oder Produkten an.
*„Als Ökosystemleistungen werden die Dienstleistungen der Natur für den Menschen bezeichnet, die er durch die Lebensräume und Lebewesen wie Tiere und Pflanzen bezieht. Die Ökosystemleistungen schaffen die Basis für grundlegende Bedürfnisse des Menschen, wie beispielsweise den Zugang zu Wasser und Nahrung. Funktionierende Ökosysteme hängen von einem Zusammenspiel von zahlreichen Organismen ab, wie Primärproduzenten (z. B. Pflanzen), Pflanzenfressern, Fleischfressern, Destruenten (Zersetzern), Bestäubern und Pathogenen. Als wesentlicher Grundstein der Ökosystemleistungen gilt daher die Biodiversität mit all ihren Ebenen“ [1].
Was ist das HeimatERBE-Prinzip? Aus welchen Komponenten besteht es?
Das HeimatERBE-Prinzip beschreibt den Prozess, der zur Erreichung einer Umweltneutralität führt. Zu Beginn jedes Projektes muss die Ökobilanz einer Person, einer Organisation, eines Produktes oder einer Dienstleistung berechnet werden. Diese Analyse ermittelt alle Umweltwirkungen von der Produktion bis zur Entsorgung inkl. der Herstellung von Gebrauchsmitteln. (Diese Bilanzierung ist in der DIN EN ISO 14040/44 standardisiert.) Danach werden die Ergebnisse monetarisiert – also in Umweltkosten nach dem Standard des Umweltbundesamtes umgerechnet. Die Umweltkosten sind ein reiner Geldbetrag, welchen wir von unserem Ökobilanzierer (z.B. greenzero.me) erhalten. Er beschreibt die tatsächlichen Umweltwirkungen. Daraus resultiert dann der Umweltwert, welcher einen Ausgleich zwischen den Umweltkosten schafft. Der Umweltwert repräsentiert den Geldbetrag, der für die Kompensation der schädlichen Umweltauswirkungen nötig ist. Was wir für die Herstellung von leistungs- und funktionsfähigen Ökosystemen finanziell aufwenden müssen – also die Herstellungskosten bis zur „Biotopreife“, entspricht dem Umweltwert.
Wie kann HeimatERBE dann damit arbeiten?
Die Ökobilanzierung und Monetarisierung zielen natürlich immer darauf ab, dass etwas zu Schaden kommt. Natürlich ist es wichtig, diesen Schaden zuerst im Prozess so weit es geht zu reduzieren. Nur für solche bereits optimierten Prozesse bietet HeimatERBE eine Kompensation an. Was wir dann tun, ist diese festgestellten Umweltkosten wieder zu investieren. Der Umweltwert, den wir schaffen, ist die Spiegelung der Umweltkosten. Das ist das Momentum, in dem die Umweltneutralität erreicht wird, weil die Kosten an dieser Stelle im Prozess reinvestiert und die externen Effekte internalisiert werden. Der Kunde muss eins zu eins das an Kompensation auch bezahlen, was er auch an Kosten für die Umwelt auslöst. Durch ein Monitoring, eine Überwachung des Entwicklungsstandes, kann HeimatERBE überprüfen, ob die Ziele ihrer Kompensationsmaßnahmen, die wir zuvor in einem Entwicklungsplan beschreiben, erreicht werden. Für HeimatERBE steht die Umweltneutralität im Fokus. Neben dem Treibhauseffekt, verursacht durch den Ausstoß klimawirksamer Gase, werden auch Komponenten wie Versauerung, Überdüngung (Eutrophierung), Ozonbelastung am Boden (Sommersmog) und Zerstörung der (schützenden) Ozonschicht in der Stratosphäre miteinbezogen. Durch die Kompensationsleistung werden die Schutzgüter biologische Vielfalt, Klima und menschliche Gesundheit gestärkt. Die oben erläuterten Begriffe wie Ökobilanzierung, Monetarisierung, Umweltwert und ökologische Aufwertungsleistung sind elementare Bestandteile zur Erreichung der Umweltneutralität.
Welche aktuellen Projekte führt ihr durch und was plant ihr als nächstes?
Ein aktuelles Beispiel ist der ehemalige Schachtstandort Ewald 5 in Herten. Dort steht als ganz besonderes Merkmal eine alte Schmiede auf der Fläche. Die Fläche war bis August 2021 noch relativ stark als Baustelleneinrichtungsfläche genutzt. Heute ist wieder Ruhe eingekehrt und wir haben uns dazu entschlossen das Gebäude zu einer “Artenschutzschmiede” umzubauen – wir hatten bereits Spuren der (vorherigen) Besiedlung durch eine Schleiereule und Fledermäuse vorgefunden, sodass sich die Umwidmung perfekt anbot. Das heißt, das ganze Gebäude ist nur für den Artenschutz vorgesehen. Wir haben das Gebäude komplett für den Menschen verschlossen und nur noch Einflugmöglichkeiten für Tiere hergerichtet, vor allem für Fledermäuse und für gebäudebewohnende Vögel. Außerdem haben wir Nisthilfen und Quartiersstrukturen an der Fassade und im Gebäudeinneren angelegt, welche als Habitate für die Tiere in Frage kommen. Aber es gibt auch kleine Eingänge für bodengebundene Kleinsäuger und Co, die dort auch Schutz finden können. Dieses Gebäude macht allerdings nur einen kleinen Teil der 8 ha großen Fläche aus. In weiteren Teilbereichen des Areals wird HeimatERBE außerdem Entsiegelungs- und Rückbaumaßnahmen vornehmen, Unrat beseitigen, vorhandene Biotope erhalten und optimieren (z.B. aufgeforstete Bestände in bodenständige Waldgesellschaften umwandeln oder staufeuchte Offenlandfläche in extensive, kulturlandschaftliche Nutzung überführen) sowie neue Lebensraumtypen anlegen bzw. deren Entwicklung begünstigen/zulassen (z.B. Fluren mit Pionier- und Spontanvegetation, blütenreiche Säume aus Stauden, Wildobstbestände).
Ein weiterer ganz interessanter Standort ist die Fläche Kurl 3 in Lünen. Dort ist es zum Beispiel so, dass relativ flächendeckend die Goldrute vorkommt und eigentlich den ganzen Charakter des Gebietes bestimmt. Da haben wir zuerst gedacht, es wäre wahrscheinlich am sinnvollsten den Boden abzuschieben. Aber im Kontakt mit dem NABU aus Unna hat sich ergeben, dass dort schon diverse Orchideen vorhanden waren. Jetzt sind wir dabei diese Fläche schonend umzuwandeln, so dass wir die Orchideen-Bestände erhalten können.
Ein ganz besonderes Projekt, das unser bisheriges Tun an Komplexität und Umfang bei weitem übertrifft, läuft gerade in Duisburg-Ruhrort an. Gemeinsam mit dem Unternehmen Haniel haben wir von HeimatERBE und greenzero.me es uns zur Aufgabe gemacht, den Stadtteil bis 2029 zu dem ersten umweltneutralen Quartier der Welt zu transformieren. Da wird eine Menge Arbeit mit der Stadt, lokalen Unternehmen, Interessengruppen und natürlich auch den Ruhrorter Bürger:innen auf uns zukommen. Das wird ein herausforderndes Projekt, das ein großes Potenzial für den Stadtteil, die ganze Stadt Duisburg sowie das Ruhrgebiet mit sich bringt.
Weitere Ankäufe von degradierten und devastierten Flächen, die nicht unbedingt nur ehem. Industriestandorte und im Ruhrgebiet sein müssen, sind geplant, um nach unserer bisherigen Arbeitsweise auch die wachsende Nachfrage nach ganzheitlicher, mehrdimensionaler und lokaler Kompensation decken zu können.
Alle weiteren Informationen rund um die aktuellen Projekte und vieles mehr können der HeimatERBE-Webseite entnommen werden. Außerdem gibt es einen Film, in dem weitere Details erläutert werden.
Autorin: Stephanie Stiehm
* lala.ruhr übernimmt mit dem takeover im Januar 2022 drei Wochen lang den Instagram-Account von vier.ruhr, der Allianz der Mülheimer Theater. Unser Thema: der Müllkomplex. Wir nehmen euch mit mit auf eine digitale Reise durch die Region und darüber hinaus – an Orte, an denen etwas aus Müll entsteht oder an denen mit dem gearbeitet wird, was wir umgangssprachlich so bezeichnen. Wir laden dazu ein, auch die Stadtlandschaft der Metropole Ruhr zirkulär zu denken und alle Materialien als ein Teil von Kreisläufen zu entdecken. Das Unternehmen HeimatERBE stellen wir vor, da es sich unter anderem um die Umwandlung von Flächen kümmert, die zuvor in der öffentlichen Wahrnehmung als “nutzlos” angesehen wurden und es Wirtschaftsunternehmen ermöglicht, umweltneutral zu agieren.
vier.ruhr ist die Theaterallianz von Theater an der Ruhr, Mülheimer Theatertage „Stücke“ und Ringlokschuppen Ruhr. Gefördert im Rahmen von NEUE WEGE durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem NRWKULTURsekretariat.
Quelle:
[1] Umweltdachverband (o.J.): Ökosystemleistungen – von der Natur kostenlos erbracht https://www.umweltdachverband.at/themen/naturschutz/biodiversitaet/oekosystemleistungen/