Am letzten Wochenende der 1. Biennale der urbanen Landschaft brachten zahlreiche Expert:innen wichtige Impulse in die Diskussion um die Zukunft der Metropole Ruhr. Die Biennale hatte zum Abschluss zu einer Convention eingeladen. So konventionell das Format klingt, so aufrüttelnd waren die Inhalte.
Zum Auftakt der Convention kündigte Sebastian Schlecht an, dass auf der Biennale ernsthafte Themen mit Spass diskutiert würden. Das gelang sogar auf der Convention am Ende der zweiwöchigen Veranstaltung. In vielen verschiedenen Runden kamen zahlreiche Themen auf den Tisch: vom Klimawandel und dessen Bedrohung für die urbane Landschaft, von der Vielfalt an existierenden Ideen für die Metropole Ruhr und den Hindernissen bei der Umsetzung, von Engagierten in der Stadt, die mit „das geht nicht“ abgeschmettert werden bis zum Ruf nach einer Werkstatt, die offen ist für Experimente und Fehler erlaubt.
Studentische Visionen
Den Auftakt der Convention machte die Präsentation studentischer Arbeiten. In insgesamt acht Gruppen hatten Studierende der RWTH Aachen, der TU Dortmund und der TH Ost-Westfalen-Lippe auf der Biennale eine Woche zusammen gearbeitet. In disziplinär gemischten Teams suchten angehende Raumplaner:innen, Stadtplaner:innen und Landschaftsarchitekt:innen Lösungen für „Urban Uncertainties“.
Mit dieser offenen Aufgabenstellung machten sie sich auf die Suche nach Ansätzen für den Erhalt der Lebensqualität der Metropole Ruhr. Während einige Gruppen auf einen konzeptionellen Maßstab abhoben und die Besonderheiten der polyzentrischen Region in eine neue Zukunft führten, blieben andere konkreter. Sie machten Vorschläge für das direkte Umfeld des Biennale-Veranstaltungsortes. Sie entwarfen Pocket-Parks für Gelsenkirchen-Ückendorf oder werteten den öffentlichen Raum so auf, dass er zu einem gesunden und lehrreichen Lebensumfeld für Kinder wird. Denn schließlich sind „Children of today […] adults of tomorrow“. Eine andere Gruppe suchte den Weg ins Digitale und entwarf eine App, die die Kommunikation zwischen Bürger:innen und Stadtverwaltungen verbessert. Ein weiteres Team zeichnete neben einem Idealbild von Stadt auch ein düsteres Szenario; eine Ermahnung an alle, die aktuellen Herausforderungen wirklich ernst zu nehmen.
Die Zukunft braucht gemeinsames Wirken
Auf die Ernsthaftigkeit der anstehenden Krisen und den aktuellen Handlungsdruck verwiesen auch Expert:innen einer Diskussionsrunde. In dieser rüttelte Markus Lehrmann als Geschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen auf: „Der Klimawandel ist nichts Neues, das ist die schlimmste Erkenntnis. Wir wissen seit 40 bis 50 Jahren davon und ändern nichts.“
Und welche wichtige Rolle die Landschaftsarchitektur im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen spielt, machte Thomas Dietrich als Vorsitzender des BDLA NRW deutlich und lobte die Biennale. Sie richte den Blick auf das Grün, „das in allen Bereichen relevant ist. Es kommt in allen Handlungsfeldern vor: in der Klimaanpassung, in der Schaffung sozialer Gerechtigkeit, im Umgang mit Demografie.“ Im Workshop Pflegefall Grün stellte er aber auch klar, dass Grün nur Lösung von Problemen im urbanen Raum sein kann, wenn es auch gepflegt wird. Und das ist ein Problem, wie Melanie Ihlenfeld von Grün und Gruga Essen beschrieb: „Wir kommen nur der Verkehrssicherungspflicht nach; mehr nicht. So sehen die Grünflächen auch aus. Grün ist zur Pflichtaufgabe verkommen“. Die Mitdiskutanten waren sich einig, dass die Finanzierung von Pflege neu konzipiert werden muss, was einer verfassungsrechtlichen Neukonzeption bedarf. Den Blick in die Politik richtete auch Markus Lehrmann. Nach seiner Meinung ist „niemand […] ideenlos und programmatische Ansätze sind da, aber sie müssen in der Politik und beim Gesetzgeber ankommen“. Schließlich appellierte Susanne Priebs von der TU Dortmund nochmal: „Wir brauchen neue Diskurse über Stadt, wie Architects for Future und lala.ruhr sie anstoßen“ – also ein Lob für die erste Biennale der urbanen Landschaft.
Wir müssen mehr wagen
Auch Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut machte in ihrem Impulsvortrag deutlich, wo Handlungsbedarf ist. Ihr Blick richtete sich dabei zunächst auf den Bau- und Gebäudesektor. Überall konnten Einsparungen erzielt werden, nur in diesem Bereich nicht. Noch immer beanspruchen die Menschen viele Quadratmeter pro Kopf zum Wohnen. Nicht immer sei das Einfamilienhaus aber ein Traum, in manchen Fällen würde es zur Last. Auch Nicht-Wohngebäude bürgen ein Potenzial, erläutert Bierwirth. Wir müssen klären, wie viele wir davon wirklich nutzen und deren Umnutzung vereinfachen. Anja Bierwirth ließ auch nicht aus, auf den öffentlichen Straßenraum und dessen Prägung durch Verkehr zu blicken. Sie nahm Subventionen kritisch in den Blick und appellierte solche abzuschaffen, die einer nachhaltigen urbanen Entwicklung schaden.
Zum Schluss ihres Inputs forderte die Vertreterin des Wuppertal Instituts, dass „Arbeitsweisen und -prozesse beschleunigt werden. Es müsse alles schneller, einfacher, effizienter werden.“ In diesem Zusammenhang wagte Stephanie Haury vom BBSR sogar zu fordern: „Gebt den Kommunen Geld und löst den Wahnsinn der Förderstrukturen auf“. Vereinfachungen sind auch vonnöten, um die Beiträge von bürgerschaftlichen Initiativen Ernst zu nehmen und wertzuschätzen: „Die kommen zur Verwaltung und dann stockt es. Zwei- bis fünfjährige Prozesse sind der Tod von Initiativen“. Am Ende der Diskussion waren viele einig: Wir brauchen mehr Raum für Experimente und den Mut Fehler zu machen.
Nach vorne gucken
Den letzten Tag der Convention startete Christa Reicher von der RWTH Aachen University mit einem Blick auf die Besonderheiten der Region. Eigentlich sei sie das nachhaltigste Modell der Entwicklung, aber das Ruhrgebiet verbraucht doppelt so viel CO2 wie der Rest von NRW, erläutert sie. Auch sie sieht dringenden Handlungsbedarf und ruft auf: „Solche Formate [wie diese Biennale] müssen wir weiterführen auch bei schrumpfenden Ressourcen. Sie ist eine Bühne für Ansporn und Erfolg, um Beteiligungsprozesse mit top-down-Strategien zu verbinden“. Sie fragt aber auch: „Wie müssen wir uns vernetzen, damit ein kreatives Laboratorium entsteht“. Das wünschten sich auch andere Mitdiskutanten. So sagte Mocki Diller von der Ruhr-Konferenz: „Wir brauchen Offenheit für andere Entwicklungen […]. Wir müssen das Spontane zulassen, auch Bottom-up erlauben“. Ähnliches erachtet auch Andreas Giga, Leiter der Zukunftsinitiative Klima-Werk bei der Emschergenossenschaft für wichtig: „Wir dürfen nicht im Konjunktiv bleiben und immer sagen, ‚wir müssten und sollten‘ und gehen dann auseinander und es passiert nichts“. Von ähnlichen Frustrationen berichtete auch der Vertreter der Ruhrbanen Liga: „Es ist schwierig im Dialog mit Stadt ernst genommen zu werden. Es ist viel Aufwand Politik und Verwaltung zu vermitteln, dass wir in die aktive Stadtgestaltung mit einbezogen werden wollen.“
Auf die Frage, was man in den Koffer für die Reise in die Zukunft packen würde, sagte Peter Köddermann von Baukultur NRW, dass er ihn nicht bestücken würde, „denn wir wissen nicht, wie wir ihn öffnen sollen. Wir haben kein Analyse-, sondern ein Umsetzungsproblem. Es gibt Rahmenbedingungen, denen wir uns stellen müssen, aber unsere Strukturen passen nicht dazu“. Dem stellt Nina Frense vom Regionalverband Ruhr eine positive Aussicht entgegen. Mit der gerade verabschiedeten Charta für Grüne Infrastruktur hätte das Ruhrparlament ein Committment gegeben, „alles was auf dem Tisch liegt auch verbindlich zu machen“.
Transformation im Ruhrgebiet und andernorts
Die letzte Session der Convention startete mit Berichten von Sanda Lenzholzer von der Uni Wageningen und Carlo Becker aus Berlin. Beide blickten auf andere Regionen und deren Herangehensweisen in der urbanen Transformation. In der anschließenden Diskussion richtete auch Viktor Haase als Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW den Blick über den Tellerrand. Er verwies auf die Katastrophen an Ahr und Erft, „die müssen demütig machen“ und forderte Klimaschutz an erste Stelle zu stellen. „Die Krisen wachsen exponentiell, deshalb brauchen wir auch exponentiell wachsende Lösungen.“
Schließlich machte Daniela Rizzi mit ihrem Blick von außen deutlich, dass es nicht an Engagierten fehlt: „Wenn es Leute vor Ort gibt, die Lust haben, eine solche Veranstaltung zu machen, denen sollte die Regierung die Füße küssen.“ Darüber hinaus erinnerte die Forscherin aus Brasilien, die schon während ihres Studiums ins Ruhrgebiet kam, daran welche großartigen, innovativen Bilder die Region bereits in die Welt gesetzt hat und unterstützt alle Engagierten in der Metropole Ruhr: „Ihr habt alles in der Hand, um es in die Welt zu setzen“.
Mit diesem aufmunternden Aufruf ging die 1. Biennale der urbanen Landschaft zu Ende. Sebastian Schlecht verwies zum Abschluss darauf, dass sie als Prozess konzipiert ist. „Wir wollen die Biennale weiterentwickeln. Dies war der Startschuss, der in zwei Jahren eine Fortsetzung finden soll.“
Die Convention wurde gefördert vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.